Im Gespräch mit: Constanze Neumann.
Der [ˈnaːxvuːks]blog im Gespräch mit Constanze Neumann, Verlagsleiterin der Aufbau Verlage (Berlin) - über die Wichtigkeit von Zufällen für eine Karriere und die großen Vorzüge der digitalen Zeit für eine neue, junge Generation Berufseinsteiger:innen.
Erstellt am 06.08.2021
Die Fragen stellte Marie-Theres Stickel.
Liebe Frau Neumann, wenn Sie mit uns noch einmal auf Ihren eigenen Ausbildungsweg, Ihr Studium, Ihre Anfänge in der Literaturbranche zurückschauen – wo sehen Sie Veränderungen in der Situation heutiger Studierender und Berufseinsteiger:innen?
Mein eigener Ausbildungsweg verlief ganz klassisch: Nach dem Abitur begann ich ein Studium der Literaturwissenschaften. Auf den großen Wunsch meines Vaters hin habe ich zudem Volkswirtschaft mitstudiert. Er hatte sich gewünscht, dass ich neben den Literaturwissenschaften auch etwas „Ordentliches“ mache – das werden viele der Leser:innen kennen. Im Kern blieb es bei mir aber ein literaturwissenschaftliches Studium. Während der sich anschließenden Promotionsphase, habe ich viele Praktika gemacht. Ein Praktikum ergab das andere – und schließlich auch ein Volontariat, das ich beim Piper-Verlag in München absolvierte.
Der größte Unterschied zu heute ist wohl, dass das Magisterstudium in den 90er Jahren viel freier war: Man stellte die Fächer frei zusammen, in den Vorlesungen gab es keine Anwesenheitspflicht. Jedoch, diese große Freiheit konnte einem auch zum Verhängnis werden: Von den Studienanfänger:innen meines Jahrgangs haben leider nur 30% ihren Abschluss gemacht. Für mich aber waren die damaligen Verhältnisse ideal – ich konnte mir meinen Weg durch das Studium selbst suchen und hatte die große Freiheit, auch anderes zu tun. Beispielsweise habe ich viel Zeit im Ausland verbracht, in England und Italien. Rückblickend kann ich sagen: Wenn man der Versuchung widerstand, sich zu verlieren, dann lief dieses Studium wirklich gut.
Auch heute noch ist es wichtig zu sehen, dass sich ein Ausbildungsweg nicht kanalisieren lässt. Man kann seinen Karriereweg nicht von vornherein planen und sagen “nun beginne ich mein Studium mit dem ersten Semester Literaturwissenschaften, und dann lande ich später im Verlag“. Vielmehr muss man seinen Weg dorthin finden!
Es scheint sinnvoll, dass das Studieren heutzutage verschulter ist, denn die Studierenden kommen besser durch das Studium hindurch – die Gefahr ist nicht mehr so groß, sich darin zu verlieren. Wirklich seinen eigenen Weg zu finden, das ist jedoch heute leider nicht mehr so gegeben wie früher. Das Studium als eine Zeit der Freiheit zu erleben, in der man sich zu dem entwickelt, der oder die man ist – wo will man das heute machen, wenn vieles festgeschrieben ist? Wenn ein Praktikum in der Studienordnung vorgeschrieben ist, wird es so gemacht. Die Möglichkeit, ein anderes Praktikum in einem ganz anderen Bereich zu machen, ist kaum noch vorgesehen. Das ist schade, denn auch wenn ein Zusammenhang erst einmal nicht erkennbar ist, ergibt er sich vielleicht umso mehr zehn Jahre später.
Aber man muss sagen: Wir haben heute regelmäßig Volontärinnen und Volontäre in den verschiedensten Abteilungen bei Aufbau und das sind ganz tolle und spannende Kolleg:innen – es geht also auch mit dieser neuen Art des Studierens!
Im Kern des Verlagswesens geht es überall um Geschichten, um Themen, um unsere Gegenwart. Je mehr man letztendlich Schwamm ist und Dinge aufsaugt, desto besser.
— Constanze Neumann
Heutzutage schlägt einem als Studentin der Literaturwissenschaften oder Azubi in der Buchbranche oft immer noch große Skepsis entgegen. Ähnlich wie auch Sie beschrieben haben, bekommt man häufig zu hören, „man solle doch lieber etwas Solides machen“… Aus Ihrer Erfahrung heraus: Haben Sie einen Rat, den Sie jungen, literaturbegeisterten Menschen zum Berufseinstieg gerne mit auf den Weg geben würden?
„Machen!“ Das ist natürlich leicht gesagt aus meiner Perspektive. Trotzdem: Wenn man etwas wirklich leidenschaftlich gern machen möchte, dann sollte man es auch versuchen. Selbst wenn man an einer Stelle nicht weiterkommt – nichts ist schlimmer, als später überlegen zu müssen, „was wäre gewesen wenn…“?
Die Literaturbranche bietet heute so viele, vielfältige Möglichkeiten, die sich durch den Zuwachs im digitalen Bereich noch vergrößert haben. Klassischerweise möchten viele junge Leute ins Lektorat oder in die Pressearbeit. Doch inzwischen warten die Verlage mit ganz neuen, interessanten Abteilungen – Digitalabteilungen – auf, die genauso mit Literatur und Büchern arbeiten. Es ist wichtig zu sehen, dass die Literatur das Kernthema in allen Verlagsbereichen ist, es geht immer um die Begeisterung für Literatur, für Bücher und für Themen.
Ein großer Vorzug dieser digitalen Zeit ist, dass die junge Generation uns Älteren in vielerlei Hinsicht etwas voraus hat: Auf den neuen, digitalen Feldern hat eine 25-Jährige, ein 25-Jähriger heute einen Vorteil gegenüber jemandem, der nicht mit den neuen Medien aufgewachsen ist und der sich vieles – so wie ich – erst aneignen muss. Diesen Vorteil kann man sich nutzbar machen! Umso mehr würde ich also heute sagen: auf jeden Fall versuchen, und sich überhaupt nicht entmutigen lassen!
Sind Zufälle für eine Karriere eigentlich wichtig?
Ja, denn oft lässt sich vorher gar nicht einschätzen, was man später für seinen Beruf nutzbar machen kann. Unabhängig von der Abteilung geht es im Kern des Verlagswesens überall um Geschichten, es geht um Themen, es geht um unsere Gegenwart. Je mehr man letztendlich Schwamm ist und Dinge aufsaugt, desto besser.
Im Verlag sind wir jeden Tag mit unendlich vielen Themen konfrontiert: 95% der Themen sind neu, jedes Buch erschließt eine neue Welt. Deshalb ist jemand, der Interessen mitbringt, der Leidenschaften mitbringt, der sich auf besondere Weise für die Welt da draußen – politisch, historisch, sozial – interessiert, immer eine unheimliche Bereicherung.
Bei Aufbau haben wir vor Kurzem eine Volontärin eingestellt, die nebenbei alte orientalische Inschriften transkribiert. Mit unseren Inhalten hat das erst einmal wenig zu tun, wir haben auch nicht vor, konkret in diesem Bereich Bücher einzukaufen. Aber uns hat es sehr fasziniert, dass es bei ihr eine Begeisterung und eine Leidenschaft für etwas gibt, wovon wir selbst überhaupt keine Ahnung haben. Ihr Engagement war für mich ein Indiz, dass sie Themen gegenüber offen ist und die Welt da draußen sieht. Darum geht es.
Als Verlagsleiterin der Aufbau Verlage führen Sie einen deutschen Verlag mit einer sehr bewegten Geschichte, der die geschichtlichen und gesellschaftlichen Umbrüche des 20. Jahrhunderts in Deutschland wie kaum ein zweiter widerspiegelt. Können Sie uns etwas darüber erzählen, wie eng verbunden man als Verlegerin eigentlich mit „seinem“ Verlag ist? Sie sagten uns vorhin, dass jedes Buch eine neue Welt erschließt – ist das mit Verlagen ähnlich?
Ein Verlag ist wie ein lebender Organismus. Jeder ist vollkommen anders, hat eine andere Kultur, einen anderen Umgang, eine andere DNA – es ist ein großartiges Miteinander.
Der Aufbau Verlag ist wirklich ein ganz besonderer Verlag. Insbesondere aufgrund seiner Historie: ist er doch der einzige größere Verlag mit ostdeutschen Wurzeln, der den Sprung auf den gesamtdeutschen Markt geschafft hat und dort nicht mehr unbedingt als ostdeutscher Verlag wahrgenommen wird. Das ist im Bewusstsein der Mitarbeiter:innen sehr verankert.
Die Verlagsarbeit bedeutet immer auch einen Spagat: die Geschichte des Hauses, seine Traditionen, die Werke und ihre Rechte zu pflegen und auf der anderen Seite immer wieder zu versuchen, neue Leserschaften zu erschließen. Das läuft in jedem Verlag anders. Daher ist es in der Tat so, dass mit jedem Verlag auch eine neue Welt auf einen wartet und ich kann sagen – die Aufbau-Welt ist eine sehr schöne. Es ist nicht nur die Ost-West-Geschichte, das Verwurzeltsein in Berlin: Aufbau ist auch ein Verlag, der 1945 aus einer bestimmten Idee heraus gegründet worden ist. Das trägt man gerne weiter und versucht, diesem Geist gerecht zu werden.
Die Aufbau Verlage sind konzernunabhängig, ein vergleichsweise großer unabhängiger deutscher Publikumsverlag. Welche Bedeutung hat die unabhängige Verlagsarbeit für Aufbau und auch für Sie als Verlegerin? Ist sie im Berufsalltag spürbar?
Es ist wichtig zu sehen, dass es sich auch in Konzernverlagen sehr gut arbeiten lässt – jeder Verlag hat seinen eigenen Geist. Aber bei Aufbau gibt es ein besonders starkes Bewusstsein dafür, dass wir unabhängig und eigentümergeführt sind. Es ist spürbar, dass die Eigentümer, das Ehepaar Koch, gewisse Vorstellungen und Ideale haben und dass sie den Verlag damals aus einer bestimmten Haltung heraus aus der Insolvenz gekauft haben. Für uns ist es ein gutes Gefühl, dass hinter Aufbau eine Idee steht, die verwirklicht wird.
Auch als unabhängiger Verlag machen wir große Bücher. Doch es gibt immer wieder Titel auf dem Markt, bei denen wir nicht mitbieten können. Auf ‘Michelle Obama’ zum Beispiel – bei solch einem Titel ist klar, dass weder ein Aufbau noch ein Hanser Verlag noch ein Dumont Verlag mitbieten kann. Man weiß, dass sich das anderswo in der Branche abspielt, was ich aber auch gar nicht schlimm finde. Wir bei Aufbau arbeiten eben noch sehr damit zu entdecken, neu zu erfinden – das trägt den Alltag im Lektorat und bereitet viel Freude.
Das ist ein perfektes Stichwort für die nächste Frage: Sie erzählten uns, dass Sie als Verlagsleiterin momentan noch die Zeit finden, pro Programm ein Buch im Lektorat zu betreuen. Können Sie uns etwas darüber erzählen, welche Art von Titeln Sie als Lektorin betreuen?
Meistens betreue ich deutschsprachige Autorinnen und Autoren. Manchmal sind es Debüts, häufig aber Autor:innen, die ich schon länger kenne. Ich kümmere mich auch sehr um die italienische Literatur bei Aufbau, lektoriere jedoch keine Übersetzungen mehr. Zumeist ergeben sich die Titel mehr zufällig, denn es sind oft Notwendigkeiten im Lektorat dabei – beispielsweise dass Kolleg:innen entlastet werden, die gerade sehr viele Titel betreuen.
Aber ich kann die Lektoratsarbeit nicht über Gebühr machen. Auf meiner aktuellen Position fällt eine ganze Menge anderer Arbeit an, die wenig mit dem Lektorat sondern viel mit Koordination und Management zu tun hat. Doch am Lektorat hängt für mich nach wie vor das Herz – das versucht man zu einem Teil zu retten, soweit es eben geht.
Verraten Sie uns, ob Sie als Lektorin und Verlegerin überhaupt noch Zeit für private Lektüremomente finden? Und wenn ja, haben Sie einen Lieblings-Leseort?
Private Lektüren sind selten geworden. Ich lese natürlich wahnsinnig viel, was uns bei Aufbau angeboten wird. Aus dem Ausland erreichen uns zumeist schon fertige Bücher, daher lese ich sehr viel Englisches und Amerikanisches, Italienisches sowieso. Dass ich privat etwas von anderen Verlagen lese, kommt eigentlich nur im Urlaub vor. Ich verbringe meinen Sommerurlaub immer an demselben Ort auf Sizilien, wo ich soweit zur Ruhe komme, dass ich etwas für mich lesen kann. Häufig sind das dann italienische Krimis. (lacht)
Wir arbeiten bei Aufbau noch sehr damit zu entdecken, neu zu erfinden – das trägt den Alltag im Lektorat und bereitet viel Freude.
— Constanze Neumann
Zum Abschluss würden wir uns über einen aktuellen Buchtipp für den Nachwuchs freuen. Haben Sie einen Titel im Kopf, den Sie unseren Leser:innen des [ˈnaːxvuːks]blogs ans Herz legen möchten?
Sehr gerne möchte ich empfehlen, überhaupt hin und wieder einen genaueren Blick auf das Verlagsprogramm von ‘Blumenbar’ zu werfen. Das ist ein kleineres Aufbau-Verlagslabel für junge, ungewöhnliche, manchmal auch etwas abseitige und experimentelle Literatur.
Im Frühjahr ist bei Blumenbar der Debütroman von Hengameh Yaghoobifarah erschienen, der auch auf der Bestsellerliste vertreten war: »Ministerium der Träume«. Hengameh Yaghoobifarah stellt dort eine Welt sehr überzeugend dar, wie vielleicht viele sie gar nicht kennen – die Welt der Migrantinnen und Migranten, die in den 90er Jahren nach Deutschland kommen und hier aufwachsen mit all den Schwierigkeiten, die damit verbunden sind; die dann in Berlin ein neues Leben finden, dort jedoch immer wieder von der in Deutschland herrschenden Fremdenfeindlichkeit eingeholt werden. Das Faszinierende an diesem Roman ist, dass Hengameh Yaghoobifarah eine besondere Sprache findet, die gendergerecht und modern ist. Ein bestimmter Slang wird mit den persischen Wurzeln, dem etwas Blumigen, gemischt – es ensteht eine vollkommen eigene Sprache. So wird »Ministerium der Träume« zu einem ganz großen Roman, den ich sehr empfehlen kann.
Vielen Dank für das nette Gespräch und Ihre Leseempfehlung, liebe Frau Neumann!