Blogbeitrag Nachwuchsblog

Im Gespräch mit: Felicitas von Lovenberg.

Der [ˈnaːxvuːks]blog im Gespräch mit Felicitas von Lovenberg. Die Verlegerin des Piper Verlags bietet uns spannende Einblicke in die Strukturen und Besonderheiten der Verlagswelt.
Erstellt am 07.01.2022


Liebe Frau von Lovenberg, zu Beginn wäre es schön, Sie könnten uns einen kleinen Einblick in Ihren Werdegang geben, wie Sie zu Ihrem jetzigen Job als Verlegerin gekommen sind, ob es Umwege gab und ob das, was Sie tun, Ihr „Traumjob“ ist.

FvL: Es ist für mich auf jeden Fall der absolute Traumberuf! Ich werde immer noch häufig, vor allem von Leuten, die mich noch als Journalistin kennen, gefragt, ob es die richtige Entscheidung war, zum Piper Verlag zu wechseln. Nach achtzehn Jahren war mein Kapitel als Journalistin und auch das bei der FAZ einfach zu Ende, und ich wusste damals auch schon recht lange, dass ich näher an die Bücher und deren AutorInnen ran und mehr für das Buch an sich tun wollte.

Als Journalistin habe ich mich immer eher als Vermittlerin gesehen, die Bücher und LeserInnen zusammenbringen wollte. Die meisten Literaturkritiker definieren ihre Arbeit eher über das Beurteilen von Büchern, aber je älter ich werde, desto bewusster ist mir, wie komplex unsere Welt ist und dass es einer gewissen Zeit bedarf, bevor man zu einem Urteil kommen kann. Irgendwann fand ich dann auch, dass das Langweiligste beim Lesen meine Bewertung ist. Das Buch ist ja das, worum es eigentlich geht.

Als ich in die Verlagsbranche eingestiegen bin, hatte ich das unglaubliche Glück, dass jemand der Meinung war: „Die kann das!“ Das über jemanden zu sagen, der ohne Verlagserfahrung Verlegerin wird - das war schon sehr mutig von Christian Schumacher-Gebler, dem deutschen Bonnier-Chef. Ich bin jetzt seit 6 Jahren bei Piper und in der Zeit haben so viele Verlegerposten gewechselt, dass ich mir schon fast wie ein halber Dinosaurier vorkomme. (lacht) Das zeigt, wie wichtig es ist, dass VerlegerIn und Haus zusammenpassen. Denn man kann an einem Ort ein sehr guter Verleger sein und in ein anderes Haus wechseln - und obwohl man es ja eigentlich kann, ist man dann plötzlich nicht der oder die Richtige. Ich empfinde es als großes Glück, dass bei Piper und mir die Chemie stimmt. Als mir der Job angeboten wurde, habe ich direkt gedacht, das ist genau der Verlag, der zu mir passt, und ich hoffentlich auch zu ihm.

Ich habe meine Schul- und Studienzeit in Großbritannien verbracht und diese angelsächsische Art, vieles zuzulassen und auszuprobieren und sich für vieles zu interessieren, passt auch zur Vielfalt des Piper Programms. Insofern entspricht die Programmarbeit mit unseren verschiedenen Lektoraten meinem Wesen und Temperament. Ich muss mich nicht verbiegen und bin auf alle AutorInnen gleichermaßen stolz, im Sachbuch wie in der Literatur und der populären Belletristik, bei Malik wie beim Berlin Verlag. Diese ganzen Programme sind ja so vielfältig wie ein ganzes Feuilleton. Die Erfahrung und auch der Stress der Tageszeitungen, tagtäglich sehr schnell viele Entscheidungen treffen zu müssen - das hilft mir im Verlagsalltag. Meine langjährige Arbeit bei der FAZ, das viele Lesen und die vielen Begegnungen mit AutorInnen waren die ideale Vorbereitung für die Arbeit im Verlag, auch wenn ich zu Beginn nicht viel von der eigentlichen Verlagsarbeit wusste. Entscheidend war auch, dass die KollegInnen bei Piper mir eine Chance gegeben und gesagt haben, die gucken wir uns jetzt mal an und lassen sie mal machen. Dieser Vertrauensvorschuss war ein großes Geschenk, für das ich wirklich sehr dankbar bin. Es klingt pathetisch, aber es gibt keinen Tag, an dem ich nicht in den Verlag komme und denke „This is the place to be!“.

 

Ein Stück weit ist das ja das, wenn auch auf einer anderen Ebene, was auch jüngere Menschen hoffentlich erleben dürfen, wenn sie in die Verlagswelt kommen. Das da einfach wer ist, der ihnen diese Chance gibt, ihnen eine Tür öffnet und sagt, wir unterstützen dich, zum Beispiel in Form von einem Volontariat, und wir tragen dich dann auch noch weiter, wenn du denn engagiert bist.

FvL: Ja, das ist ganz wichtig! Ich glaube, wenn einem jemand etwas zutraut oder überhaupt erst einmal sagt, ich höre mir mal an, was du zu sagen hast, dann macht das schon ganz viel aus. Bei meinem Einstieg bei Piper habe ich das ganze erste Jahr über immerzu nur Fragen gestellt. „Warum machen wir das so? Hat es sich bewährt, oder gäbe es auch einen anderen Weg?“ Und wenn man dann ein Gegenüber hat, das offen für solche Fragen ist und darüber nachdenkt, ob man es nicht wirklich mal anders machen könnte, dann ist das ganz viel wert. Bei uns ist es so, dass Christian Schniedermann ((kaufmännischer Geschäftsführer Piper)) und ich ein enges Team bilden, weil wir uns mögen und gut ergänzen. Er ist analytisch und strukturiert und sieht auf alle Details, und ich bin eher ausladend und etwas chaotisch, aber wir sind immer offen für die Sichtweise des anderen. Eines unserer Ziele ist es, die internen Prozesse und Abläufe immer weiter zu hinterfragen und zu optimieren. Und selbst wenn wir nach einiger Zeit feststellen, irgendwas funktioniert jetzt doch nicht so gut, dann ändern wir es eben wieder zurück oder probieren etwas Neues. Am Anfang denken viele, da komm jetzt jemand, der hat eine Führungsaufgabe und der muss ja wissen, wie es geht. Wenn aber der- oder diejenige dann sagt, meine Idee war vielleicht doch nicht so gut, wir müssen das wieder ändern, dann gibt es sicher auch Momente der Irritation, wo die KollegInnen denken, die Geschäftsführung hat es wohl doch nicht so drauf… Aber ich empfinde genau das als eine Qualität in der Zusammenarbeit. Denn diese Offenheit bedeutet eben auch, dass jeder sagen darf, wenn er etwas als nicht sinnvoll erachtet. Das ist bei uns auch völlig egal, ob das ein Auszubildender ist oder jemand im Volontariat oder jemand aus der Führungsebene. Beim Erfolg geht es nicht um Hierarchien, sondern wichtig ist, dass gute Ideen gehört werden. Dass wir offen sind für Veränderungen, zeichnet uns aus, und die Bereitschaft, uns wieder und wieder neu zu justieren. Es gibt eben nicht diese Routinen, dass man etwas so macht, weil es eben schon immer so gemacht wurde. Und das fühlt sich auch jetzt nach sechs Jahren immer noch sehr richtig an. Ich glaube, ich könnte auch gar nicht mehr anders arbeiten.

 

Zu der Offenheit der Strukturen, die Sie jetzt grade genannt haben: Das ist ja sicherlich etwas, wo die Branche mittlerweile bereit ist, sich ein Stück weit zu öffnen, alte Muster zu durchbrechen, jünger werden zu wollen und auch digitaler. Und je mehr junge Menschen in die Verlage kommen, umso mehr ändert sich ja auch. Denn wenn da dann nicht nur eine oder einer, sondern fünf junge Menschen eine Idee haben, dann wird das natürlich eher gehört, grade in den traditionsreichen Häusern.

FvL: Ja, das merken wir bei uns auch. Das Durchschnittsalter bei Piper beträgt 32 Jahre und das ist, finde ich, wirklich super. Wir haben die jüngste Marketingleitung in der gesamten Branche, wir haben die jüngste Vertriebsleiterin in der gesamten Branche, und das sind zwei der wichtigsten Schaltstellen im Verlag. Beide waren schon bei Piper und wurden von uns dann promotet. Es macht mich wirklich froh, dass gerade so wichtige Stellen nicht immer von außen besetzt werden, sondern man die Kompetenzen und Talente sieht, die man bereits im Haus hat. Das halte ich auch für ein ganz wichtiges Zeichen, weil man ja doch oft das Gefühl hat, dass bei wichtigen Posten immer geschaut wird, wo kann man jemanden abwerben. Als ich bei der FAZ war, war ich dort lange Zeit immer die Jüngste. Ich hatte dort direkt nach dem Studium, mit 24 Jahren, angefangen und war erstmal das Baby. Und jetzt gibt es eben viele andere jüngere KollegInnen und das ist toll, weil die Welt sich natürlich verändert und die Sichtweisen sich verändern und wir auch intern viel debattieren können. Ich weiß dann schon, dass die KollegInnen mich manchmal angucken und denken, das ist ja jetzt schon ein bisschen old-fashioned, was die da will. Aber ich hoffe auch, dass alle wissen, dass man mir das auch sagen kann – ich sehe mich durchaus ironisch und merke, dass nächste Generation oft halt ein bisschen anders denkt und in vielerlei Hinsicht auch strenger ist. Und das gefällt mir! Meistens jedenfalls. (lacht)

 

Also wäre Ihr Tipp für den Nachwuchs, sich einzubringen, sichtbar sein, einfach mal machen, Kontakte knüpfen, und nicht darauf warten, bis einem jetzt das Volontariat zufliegt?

FvL: Genau! Und auch immer einfach mal etwas machen, was man sonst nicht machen würde. Einfach mal eine Mail schreiben oder vorbeikommen, das bleibt im Gedächtnis. Gerade wenn man sich unsicher ist und einfach jemanden aus der Branche kennenlernen möchte, sind es die persönlichen Begegnungen, die etwas ausmachen und eben doch etwas anderes sind also ein angehängter Lebenslauf. Dafür war die Pandemie gut, dass man jetzt immer mehr dazu übergeht, einfach einen Digitaltermin zu vereinbaren. Das ersetzt zwar nicht das persönliche Gespräch, ist aber doch einprägsamer als ein Mailaustausch. Einfach um zu gucken, stimmt die Chemie, passt das, sprechen wir dieselbe Sprache.

 

Grade in der internationalen Arbeit mit Autoren ist das ja auch wichtig. Das wird die Branche sicherlich auch zukünftig sehr bereichern, dass man viel schneller sagt, man lernt sich einfach mal kennen. Weil es eben doch was anderes ist, als per Mail zu kommunizieren. Viel kommt erst durch Interaktion zu Stande.

FvL: Genau, und das ist, glaube ich, das Einzige, wo ich die Vorteile der Pandemie sehe. Ich liebe es im Verlag zu sein. Homeoffice hat seine Vorzüge, je nachdem woran man grade arbeitet und wie viel Ruhe man dafür braucht, aber ich muss zugeben, für mich sind die menschlichen Kontakte, die Begegnungen und der Austausch im Verlag immens wichtig. Mir scheint, die Arbeit wird verbindlicher, wenn man sich zwischendurch sieht und spricht. Man denkt dann einfach mehr 360 Grad. Im Homeoffice ist man doch oft in seinem eigenen Tunnel und hakt die To Dos ab. Aber sobald man im Verlag zusammenkommt, merkt man, wie sehr alles ineinandergreift und denkt wieder mehr an das große Ganze. Gerade jüngere KollegInnen schreiben oft lieber Mails, anstatt kurz anzurufen oder rüberzukommen – dabei wäre das oft wichtig. Da sind Millenials etwas kontaktscheuer als meine Generation.

 

Das haben wir jetzt auch gemerkt, gerade bei neuen, jungen KollegInnen, die vielleicht erst während der Pandemie neu dazugekommen sind. Da fehlt so ein bisschen der Austausch untereinander. Und der Teams-Chat ist halt nicht die Teeküche. Auch in der Absprache mit den anderen Abteilungen. Es wird dann doch viel vor Ort, im Gespräch, sich einander zugerufen und entschieden. Und das zeigt ja jetzt auch die Messe, wie schön es ist, sich endlich mal wieder live und in Farbe zu sehen.

FvL: Ja, das finde ich auch! Und dieses sich sehen, zuhören, sprechen - das ist es, was die Branche ausmacht. Dass die Menschen sich mögen, dass der Wettbewerb nicht im Vordergrund steht, sondern das gemeinsame Engagement, dass man sich kennt und auch mit anderen mitfreut, weil ein großer Bucherfolg ja letztlich der ganzen Branche zugutekommt und Menschen in die Buchhandlungen lockt. Und das ist auch das Dienende, was die Buchbranche hat, weil die AutorInnen und Bücher im Vordergrund stehen. Und in meiner Wahrnehmung arbeiten in den Verlagen Menschen, die zwar extrovertiert sind und sehr gut kommunizieren können, die aber nie das große Ganze aus den Augen verlieren. Das ist ein gewaltiger Unterschied zum Journalismus, wo es letztlich eher darum geht, sich selber nach vorne zu stellen. Die Qualität zwischenmenschlicher Beziehungen, die ist, glaube ich, in unsere Branche so hoch wie kaum irgendwo sonst. Und das ist eben nicht aufgesetzt und auch nicht gelogen, sondern Menschen, die viel lesen, nehmen mehr Rücksicht auf andere und lassen die anderen eher so sein, wie sie sind und sagen, das ist aber doch gut so! Wir sind eben alle ein bisschen toleranter und verrückter als die Norm.

 

Im Hinblick auf die Zukunft der Branche, glauben Sie, dass es eher wieder ein bisschen weg von diesem Digitalen geht oder ist das gar nicht mehr möglich?

FvL: Das ist schwer zu sagen. Ich glaube einerseits, dass der eBook-Anteil weiter wachsen wird, auch aus Umweltgründen, wobei ja doch viele sagen, dass sie das physische Buch klar dem eBook vorziehen. Aber ein Buch, was man sich früer das Taschenbuch kaufte, lädt man sich jetzt vielleicht eher auf den Reader. Und auch die ganzen Digitaltermine werden uns erhalten bleiben, wir werden alle weniger reisen und bewusster, auch das aus Umweltgründen, aber auch, weil man sagt, die persönliche Begegnung hat einen Wert und ich muss jetzt nicht wegen einem einstündigen Meeting mit zehn Leuten durch die halbe Republik gondeln – aber für ein Treffen mit einem mir wichtigen Menschen eben schon. Das wird die Buchmessen und andere Events, wo man sich sehen kann, mit mehr Bedeutung aufladen. Weil man…

 

…einfach mehr Dankbarkeit für Begegnungen empfindet.

FvL: Genau! Und ich hoffe, dass dieses Bewusstsein noch eine Weile anhält. Dankbarkeit ist besonders und ich finde, das macht was mit einem.

 

Zum Abschluss würden wir Sie noch bitte, dem Nachwuchs ein Buch zu empfehlen. Haben Sie Titel, die sie vielleicht ein ganzes Leben lang schon begleitet haben oder auch Neuerscheinungen, die Sie besonders bewegt haben? Wo Sie sagen, das sollte der Nachwuchs lesen?

 

FvL: Ach, es gibt so viele Bücher, die man lesen sollte! Aber was mich gerade wirklich sehr beschäftigt und deswegen rede ich auch andauernd über das Buch, ist ein Titel aus dem Berlin Verlag von Kent Nagano, dem Dirigenten: »Ten Lessons of my life - Was im Leben wirklich zählt«. Er beschreibt darin, dass er eine Weile gebraucht hat, um zu verstehen, dass das, was einen im Leben vorwärts bringt, eigentlich Menschen sind, und dass man oft erst im Nachhinein erkennt, wie wichtig eine Begegnung oder ein Mensch für einen war. Er schildert in 10 Kapiteln Begegnungen mit ganz unterschiedlichen Menschen und was er von ihnen gelernt hat und warum. Da geht es zum Beispiel darum, wie zeigt man Haltung, wie lerne ich, meinem Inneren Ausdruck zu verleihen, was ist eigentlich Würde, welche Bedeutung hat der Zufall im Leben, wieviel Zufall kann ich zulassen und wie verdichtet sich dann Zufall zu etwas Schicksalhaftem.

Auch wenn man sich nicht für klassische Musik, oder überhaupt für Musik interessiert, ist dieses Buch beeindruckend, weil Nagano ein so demütiger und bescheidener Mann ist, der gleichzeitig ein ganz Großer ist. Ich glaube, dass ist ein Buch, von dem jeder profitiert, weil man sich beim Lesen unwillkürlich fragt, welche Menschen sind in meinem Leben wichtig, was habe ich von anderen gelernt und was davon habe ich annehmen können und wann habe ich verstanden, dass es das ist, worauf es wirklich ankommt.

 

Wir bedanken uns bei Felicitas von Lovenberg für dieses aufschlussreiche, informative und sehr nette Gespräch!

Die Fragen stellten Marie-Theres Stickel und Julia Heller.


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