Blogbeitrag Nachwuchsblog

Im Gespräch mit: Richard David Precht

Der [ˈnaːxvuːks]blog im Gespräch mit Richard David Precht: Wir sprechen mit ihm über seine Gedanken zur Zukunft der Arbeit (auch in der Buchbranche) und über sein neues Buch »Freiheit für alle – Das Ende der Arbeit wie wir sie kannten«.
Erstellt am 11.04.2022


Mit seinem neuen Buch »Freiheit für alle – Das Ende der Arbeit wie wir sie kannten« (Goldmann Verlag) bringt der Philosoph Richard David Precht den dritten Teil seiner Trilogie des digitalen Wandels heraus. Er erzählt uns von seiner Betrachtung der Zukunft der Arbeit und davon, warum Instant-Kaffee beim Schreiben hilft.

Die Fragen stellte Nik Schumacher

Lieber Herr Precht, in Ihrer Arbeit als Schriftsteller: Wie werden Sie kreativ?

R.D. Precht: Die Kreativität ist seit meiner Kindheit nicht abgerissen. Das unterscheidet mich vielleicht von dem einen oder anderen. Auch als Kind habe ich schon viel geschrieben, gezeichnet und so weiter. Das, was man heute Kreativität nennt, ist mir heute so selbstverständlich, dass ich gar nicht darüber nachdenke.

Gibt es Rituale, die Sie beim Schreiben pflegen?

R.D. Precht: Was auffällig ist: Ich arbeite in der Küche. Zu den Ritualen gehört dabei sicher, dass ich löslichen Kaffee trinke und häufiger mal aufspringe, um das zu tun. Ich mache mir keine ganze Kanne, da ich in dem Moment, wo ich meine Arbeit unterbreche, meine Gedanken nochmal durchgehe. Das sind für mich kleine kreative Denkpausen, die ich damit einlege. Ansonsten vermeide ich E-Mails zu lesen und auf mein Handy zu gucken.

„Freiheit für alle“ ist ein Buch, das eine große wissenschaftliche Fundiertheit aufweist. Was ist die wichtigste Fähigkeit, die man benötigt, um solch ein Buch zu schreiben?

R.D. Precht: Wenn man ein Buch mit 540 Seiten schreibt, muss man sich sehr lange und umfangreich mit dem Thema beschäftigt haben. In meinem Fall sind das fast zehn Jahre. Ich bin mit Vorträgen in der Wirtschaft 50- bis 100-mal pro Jahr unterwegs. Eine gute Voraussetzung ist, dass man sein Wissen nicht ausschließlich aus Büchern zieht, sondern auch aus vielen Erfahrungen und Gesprächen mit den unterschiedlichsten Gesprächspartnern – das ist sicherlich eine sehr wichtige Voraussetzung dazu. Das andere ist die Geduld, die man aufbringen muss, um sich in ein so umfangreiches Thema einzuarbeiten und immer wieder die eigenen Ansichten zu überprüfen und auch die Gegenargumente zu beachten, um eine Waage aufzubauen zwischen dem, was man selbst für richtig hält und dem, was andere denken.

Können Sie abschätzen, ob Sie länger geschrieben oder länger recherchiert haben?

R.D. Precht: Ich würde meine Arbeit nicht als Recherche betrachten. Wenn ich einen Vortrag halte – beispielsweise bei einer Bank – unterhalte ich mich häufig noch einige Stunden über die Zukunft der Finanzmärkte, der Arbeit und ähnliches. Das lässt sich so also nicht ganz einfach sagen. Vielleicht ist es ein Kennzeichen von Philosophen, dass sie Leben und Denken nicht trennen. Das, was ich tue, sehe ich nicht als Arbeit, sondern als bezahlte Selbstverwirklichung.

Ist es längst überfällig, das Prinzip der Erwerbsarbeitsgesellschaft zu überdenken?

R.D. Precht: Ich denke, es findet bereits statt, aber nicht konsequent genug. Häufig bin ich auf Kongressen, wo es um „New Work“ und die Veränderung der Arbeitswelt geht. Dort gibt es viele Leute, die davon sprechen, wie sich die Arbeit verändert. Wir bleiben aber immer bei ästhetischen Phänomenen stehen. Die Firmen haben flachere Hierarchien. Die Mitarbeiter*innen wollen einen „Purpose“ haben. Teamarbeit wird immer wichtiger – solche Dinge. Dass das aber eine grundlegende Veränderung unserer Gesellschaft, bis hin zu Auswirkungen auf unseren Sozialstaat und die Art, wie wir künftig unsere Rente finanzieren bedeutet, das wird von da aus dann eben nicht weitergedacht.

Als was betrachten Sie das Buch – als Gedankenspiel? Als Statement?

R.D. Precht: Ein Statement wäre zu kurz. Der Begriff Gedankenspiel klingt mir zu sehr nach französischer Philosophie. Da gibt es sehr viele Philosophen, die umfangreiche Gedankenspiele machen. Wie die meisten meiner Bücher sehe ich es als eine Analyse und den Versuch, Vorschläge zu machen – in diesem Fall zur Organisation der Arbeitswelt. 

Erwarten Sie sich, dass aus dem Buch ein Umdenken resultiert, oder es dazu beitragen kann?

R.D. Precht: Ein Umdenken ist natürlich eine große, komplizierte Angelegenheit. Einzelne Bücher lösen kein Umdenken aus, aber sie können Teil eines Umdenkprozesses sein. 

In „Freiheit für alle“ las ich folgenden Satz: „Einen auf gut berechenbare Weise spannenden Krimi zu schreiben, kann eine künstliche Intelligenz bewerkstelligen; ein Buch wie dieses zu schreiben, nicht.“ (S. 102)
Was bedeutet das für die Zukunft der Arbeit in der Buchbranche?

R.D. Precht: Für die Zukunft der Buchbranche kann man sagen, dass der allergrößte Teil der Bücher, die in den Buchhandlungen stehen oder online bestellt werden, von Menschen geschrieben werden und nicht von Maschinen. Das kann man jedenfalls für die mittelfristig überschaubare Zeit, also die nächsten 20 Jahre, mit ziemlich großer Sicherheit sagen.
Außerdem ist es für Leser, beispielsweise von Romanen, nicht unwichtig, dass es einen Autor oder eine Autorin gibt. Die Leser*innen haben ein reales oder imaginäres Bild von dieser Person. Durch das Buch spricht der Autor oder die Autorin zu den Leser*innen. Wenn diese aber nicht mehr wissen, dass sich dahinter ein Mensch befindet, den sie vielleicht interessant, sympathisch oder originell finden, verliert das Buch einen erheblichen Teil seines Reizes. Beim Beispiel des Krimis ist es so, dass dieser, wie auch die allermeisten Drehbücher, sehr stark normierten Mustern folgt. So etwas kann künstliche Intelligenz ziemlich gut. Wir wissen auch, dass künstliche Intelligenz ganze Textpassagen, wie zum Beispiel journalistische Artikel, schreiben kann.
Es wäre für künstliche Intelligenz also kein großes Hexenwerk, in Zukunft Unterhaltungskrimis zu schreiben.

Bietet das Anlass zur Sorge?

R.D. Precht: Im Bereich der Trivialliteratur macht das vielleicht nichts aus. Dadurch werden aber nicht flächendeckend Autoren ersetzt.

Wie beenden Sie folgenden Satz: Einem jungen Menschen, der am Beginn seines Berufslebens steht, rate ich …

R.D. Precht: … seine Neugier nicht zu verlieren, das zu tun, was ihm wirklich Spaß macht, sich aber gleichzeitig ein dickes Fell zuzulegen, um mit Frustration positiv umzugehen.

Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Precht!


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