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Medienlese(n): Gustave Flaubert »Bibliomanie«

Über die mysteriöse Krankheit der Bibliomanie und warum schenken gesünder zu sein scheint, als zu sammeln – Felix Meurer rezensiert für Euch das Büchlein »Bibliomanie« von Gustave Flaubert, in der schmucken, illustrierten Ausgabe der Insel-Bibliothek.
Erstellt am 14.09.2021


Rezension von Felix Meurer

Das 18. Jahrhundert liegt zum Glück schon eine Weile zurück, denn ansonsten hätte man viele von uns vermutlich längst ins Krankenhaus eingewiesen. Was uns heute eher erstrebenswert scheint – der Besitz einer großen Bibliothek – galt damals tatsächlich als krankhaft. Eine der ersten Beschreibungen dieser mysteriösen, als Bibliomanie bezeichneten Krankheit, stammt aus der Encyclopédie, einem aufklärerischen Nachschlagewerk, das ab 1751 von den Philosophen Denis Diderot und Jean Baptiste D’Alembert herausgegeben wurde:

„Ein Bibliomane ist also nicht etwa ein Mensch, der sich Bücher anschafft, um sich zu bilden – er ist von einem solchen Gedanken weit entfernt, da er sie überhaupt nicht liest. Er hat Bücher, nur um sie zu besitzen, um sich an ihrem Anblick zu weiden; sein ganzes Wissen beschränkt sich darauf, zu erkennen, ob es gute Ausgaben sind und ob sie gut gebunden sind. […]. Diese Besessenheit, die man Bibliomanie nennt, ist oft ebenso kostspielig wie Ehrgeiz und Wollust. Ein solcher Mensch hat nur noch soviel Vermögen übrig, wie nötig ist, um in einer wohlanständigen Mittelmäßigkeit leben zu können.“  

Gut möglich, dass diese lebhafte Beschreibung der Bibliomanie einen gewissen Gustave Flaubert, der einige Jahre später in Rouen in der Normandie geboren wurde und der später als Autor zu Weltruhm kommen sollte, zu einer kleinen Schauergeschichte inspirierte. Vielleicht entdeckte der junge Flaubert – ein fauler Schüler, der es vorzog seine Zeit mit Lesen und dem Schreiben von Romanen zu verbringen – auch etwas von einem Bibliomanen in sich selbst. Jedenfalls entschloss er sich mit gerade einmal fünfzehn Jahren dazu, dem krankhaften Sammeln von Büchern eine Nouvelle zu widmen.

In »Bibliomanie« erzählt Flaubert die Geschichte des in Barcelona lebenden Buchhändlers Giacomo. Dieser kennt nur eine einzige Leidenschaft – die Bücher. Obwohl Giacomo erst dreißig Jahre alt ist, scheint er bereits uralt zu sein. Bucklig, mit runzeliger Haut, bleichem Gesicht und dünnem weißen Haar, sieht man ihn nur dann durch die Straßen schlurfen, wenn irgendwo seltene Bücher versteigert werden. Des Nachts wandert er durch seine Bibliothek, blättert in seinen Büchern, betastet das Papier, prüft den Goldschnitt und die Einbände und atmet den Duft von Pergament und Druckerschwärze. Kein Wunder also, dass Giacomo in Barcelona als Sonderling gilt. Man sagt ihm sogar nach, mit dem Teufel im Bunde zu stehen. Da hilft es auch nicht, dass der Buchhändler einst ein Mönch war, bevor er sich von Gott abwandte, um sich seiner wahnwitzigen Sammelleidenschaft hinzugeben. Hier schlägt der Text den Bogen zum bereits deutlich älteren Vanitas-Motiv, demzufolge das sinnlose Anhäufen von ausschließlich materiellem Besitz als nutzlose Hinwendung zum Diesseits und demnach als Sünde aufzufassen ist. Dass Giacomo tatsächlich wahllos Bücher anhäuft, zeigt sich spätestens dann, wenn der Leser erfährt, dass dieser eigentlich kaum lesen kann. Insgesamt wirkt die Figur des Buchhändlers damit gnadenlos überzeichnet. Giacomo ist ein wahrer Antiheld, vergleichbar vielleicht mit Jean-Baptiste Grenouille – dem Protagonisten aus Patrick Süßkinds Roman »Das Parfüm«. Im Verlauf der Handlung wird Giacomo mehrmals schwer gedemütigt. Zunächst verkauft er eines seiner geliebten Bücher und wird dabei betrogen, anschließend kommt er zu spät zu einer Auktion, bei einer anderen wird er von Baptisto – einem konkurrierenden Buchhändler – überboten.  Als Giacomos Kontrahenten schließlich einer nach dem anderen unter mysteriösen Umständen versterben und die Buchhandlung Baptistos in Flammen aufgeht, befällt den Leser ein böser Verdacht…

Das Büchlein lässt sich gut am Stück lesen, auch wenn die eher kurze Handlung von vielen Nebenhandlungen durchzogen wird. Im März 2021 ist »Bibliomanie« in der Insel-Bücherei erschienen. Der Verlag setzt auf die bereits etwas in die Jahre gekommene Übersetzung von Erwin Rieger, spendiert dem Text aber immerhin noch ein kurzes Nachwort, das von der Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken verfasst wurde, die bereits eine textkritische Edition von Flauberts »Trois Contes« herausgegeben hat. Der eigentliche Höhepunkt des Bändchens, und ein gelungener und wirklich stimmungsvoller Zusatz zum Text, aber sind die schönen Illustrationen von Burkhard Neie, dessen grafisch anmutender Stil für gewöhnlich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bewundert werden kann.

Das schmucke kleine Büchlein im Hosentaschenformat eignet sich hervorragend als Geschenk, vielleicht ja sogar als kleine Aufmerksamkeit für den eigenen Lieblingsbuchhändler oder die eigene Lieblingsbuchhändlerin. Denn zu schenken scheint ohnehin gesünder zu sein, als zu sammeln.

Gustave Flaubert »Bibliomanie«, Erzählung, Insel-Bücherei, Suhrkamp | Insel, März 2021, 68 Seiten,  8,- €


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